Warum der Immobilienboom vor allem den Jüngeren schadet

STUDIE

Warum der Immobilienboom vor allem den Jüngeren schadet

Kaum ein Markt hat so von den Nullzinsen profitiert wie der für Wohnungen. Doch der Immobilienrausch hängt immer mehr potenzielle Käufer ab.  Matthias Streit. 07.11.2018 Handelsblatt

https://www.handelsblatt.com/finanzen/immobilien/studie-warum-der-immobilienboom-vor-allem-den-juengeren-schadet/23447908.html?ticket=ST-151177-v1qcdU4ud34aOcdvU2

Diesen Artikel habe ich eins zu ein übernommen. Er ist interessant und ausgewogen geschrieben und absolut empfehlenswert. ER beleuchtet unspektakulär den Immobilienmarkt aus Sicht der „jungen Schicht“

 

Egal ob Berlin, Leipzig oder Bielefeld – am Immobilienmarkt findet heute fast jedes Haus oder jede Wohnung einen Käufer. Betongold ist in Deutschland so gefragt wie nie. Die Preise steigen weiter – obwohl Investoren und Immobilienprofis vor den wachsenden Risiken warnen.Seit 2009 hält der Immobilienboom bereits an, vor allem die Niedrigzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) haben die Rally befeuert. Denn Anleger, egal ob privat oder institutionell, finden an den Finanzmärkten seit Jahren keine solide verzinste Alternative mehr. Das Handelsblatt Research Institute hat nun in einer Studie die Gewinner und Verlierer des Immobilienbooms analysiert.Für den Chef des Instituts, den ehemaligen Chef der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, gibt es keinen Zweifel: „Die klaren Verlierer der Entwicklung der letzten Jahre sind die potenziellen Immobilienerwerber“, sagte er zum Auftakt der Handelsblatt-Tagung Immobilienwirtschaft in Berlin. Rürup befürchtet gar eine „verlorene Generation“: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein Großteil der unter Dreißigjährigen allenfalls durch eine Erbschaft in den Genuss einer eigenen Immobilie kommen kann.“Die Jungen leiden damit besonders stark unter der Rally am Immobilienmarkt. Zwar profitiert diese Gruppe von den historisch niedrigen Kreditzinsen, dieser Effekt wird laut der Handelsblatt-Studie aber von den stark steigenden Kauf- und Baupreisen überkompensiert. Das Hauptproblem sind die hohen Eigenkapitalanforderungen der Banken: In der Regel 20 Prozent der Kaufsumme. Hinzu kommen hohe Nebenkosten für Grunderwerbsteuer, Maklerprovision, Grundbuch- und Notarkosten, die weitere zehn bis fünfzehn Prozent verschlingen können – aber von den Banken nicht mitfinanziert werden. Für eine 100 Quadratmeter große Wohnung in Berlin müssen Käufer derzeit rund 120 000 Euro Kapital mitbringen – ein K.-o.-Kriterium für breite Käuferschichten.Eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln zeigt, dass sich die Zahl der Erst‧erwerber von 800 000 im Jahr 2013 auf nur noch 600 000 im Jahr 2016 verringert hat. Die Eigentumsquote der 25- bis unter 40-Jährigen ist seit 2002 um 3,7 Prozentpunkte gesunken und liegt aktuell bei knapp 25 Prozent.Dass die Preise in Berlin wie im Rest der Republik in den vergangenen drei Monaten langsamer gestiegen sind, ist für potenzielle Käufern allenfalls ein schwacher Trost. „Erste Indizien deuten darauf hin, dass sich der Preisanstieg verlangsamt. Dies bedeutet aber nicht, dass es zu einem Preisrückgang kommen wird“, heißt es in der Studie des Handelsblatt Research Institute. ahlen des Immobilienmarktforschers F+B zeigen, dass die Preise in den größten sieben deutschen Städten zwar nicht mehr im zweistelligen Prozentbereich zulegen wie 2017, aber noch immer klettern. Im Vergleich zum Vorjahr liegt das aktuelle Plus in München beispielsweise bei 2,0 Prozent, in Berlin bei 5,9 Prozent.

 

Im Durchschnitt haben sich deutsche Wohnimmobilien zwischen 2009 und 2017 um die Hälfte verteuert. In städtischen Regionen stiegen die Preise um 70 Prozent und in den Metropolen sogar um 90 Prozent. Eine plötzliche Korrektur hält Stefan Schilbe, Chefvolkswirt der HSBC Deutschland, für unwahrscheinlich. Zum einen rechnet er nicht mit einer markanten Zinswende.

 

Zum anderen seien die Bewertungen nicht übertrieben, vor allem im internationalen Vergleich: „Die realen Hauspreise in Deutschland liegen heute gerade einmal sieben Prozent über dem Niveau Mitte der 1970er-Jahre“, analysiert Schilbe. In Großbritannien lägen die Preise hingegen 250 Prozent darüber.

Die Profiteure

Auf der Gewinnerseite des Booms sieht Bert Rürup die Immobilien- und die Baubranche. Die Zahl der Baugenehmigungen lag 2017 bei 348 000 und dürfte in diesem Jahr weiter ansteigen. Doch das ist nach Ansicht von Experten noch immer zu wenig. Der Branchenverband GdW fordert 400 000 Neubauwohnungen im Jahr. Schon jetzt konstatiert Rürup „goldene Zeiten für die Baubranche“.2017 erwirtschafteten die Unternehmen einen Umsatz von 114 Milliarden Euro, so viel wie seit 1995, dem Höhepunkt des letzten Baubooms, nicht mehr. Zudem sind die Firmen mit 80 Prozent so gut ausgelastet wie nie zuvor. Die Baupreise werden künftig weiter steigen, da sind sich die Experten einig.

Als weiteren Profiteur nennt die Studie die Finanzbranche. Banken leiden zwar generell unter den Niedrigzinsen, die ihnen die Margen verderben, auf der anderen Seite beleben die günstigen Finanzierungskonditionen aber das Hypothekengeschäft. Zwischen 2009 und 2018 ist das Volumen der Wohnungsbaukredite um ein Viertel auf 1,36 Billionen Euro gewachsen.

Längst hat die Politik das Thema Wohnen zur neuen sozialen Frage ausgerufen, aber auch Bund, Länder und Kommunen gehören zu den Gewinnern des Immobilienbooms. Wie stark die öffentliche Hand seit 2010 profitiert, hat Günter Vornholz von der EBZ Business School errechnet. In den vergangenen neun Jahren summierten sich die zusätzlichen Steuereinnahmen durch die gestiegenen Immobilienpreise demnach auf 103 Milliarden Euro.

Im Gegensatz zu den Käufern sind Mieter nur bedingt Verlierer des Immobilienbooms, denn die Bestandsmieten sind seit 2009 mit neun Prozent sogar weniger stark gestiegen als die allgemeine Teuerungsrate. Die Preissprünge bei den Neuvertragsmieten sorgen allerdings dafür, dass die Mieten in den Großstädten seit 2010 um 40 Prozent stiegen.Die Folgen bekommen vor allem Geringverdiener zu spüren. Eine Studie der Berliner Humboldt-Universität und des Londoner University College kam zu dem Schluss, dass die Wohnkostenbelastung für das untere Fünftel der Einkommensschichten zwischen 1993 und 2013 von 27 auf 39 Prozent gestiegen ist.Für das oberste Einkommensfünftel sank die Belastung von 16 auf 14 Prozent. Der Grund: Wer gut oder sehr gut verdient, wohnt meist im Eigentum und profitiert von den gesunkenen Hypothekenzinsen. Wer sich die eigenen vier Wände nicht leisten kann – also vor allem Niedrigverdiener -, der leidet besonders unter den steigenden Mieten. Die Politik will gegensteuern und mehr bezahlbares Wohnen schaffen.Maßnahmen wie das Baukindergeld, mit dem Familien bis zu einem bestimmten Einkommen über zehn Jahre hinweg 12 000 Euro pro Kind vom Staat bekommen, sind jedoch umstritten. Viele Experten rechnen damit, dass die zusätzlichen Mittel die Kaufpreise nur noch weiter nach oben treiben werden – und der breiten Masse so nicht helfen. Gerade in den größten Städten seien die Bewertungen so hoch, dass selbst 12 000 Euro für ein Kind eine Immobilie nicht wirklich erschwinglicher machen würden, warnt Reiner Braun, Vorstand des Immobilien-Forschungsinstituts Empirica.Um künftig mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, empfiehlt die Studie des Handelsblatt Research Institute vor allem zwei Maßnahmen: eine Vereinheitlichung der Landesbauordnungen, die helfen könnte, die Baukosten zu senken, und die Einführung eines digitalen Bauantrags, der nicht nur günstiger wäre, sondern auch die Wartezeit für eine Genehmigung verkürzen würde.